Autismus und Sportbefreiung?

Nur mal rein interessehalber.

Bekommen (Asperger) Autisten heutzutage ne Befreiung vom Sportunterricht? Als Nachteilsausgleich oder ähnliches?


Zum Hintergrund. Ich hab gerade etwas weiter unten den Thread zum Sportattest entdeckt. Und mich direkt wieder in meine eigene Schulzeit zurückversetzt gefühlt 😵‍💫

Nun bin ich ja zwischenzeitlich mehr und mehr davon überzeugt, (Asperger) Autistin zu sein. Je mehr ich drüber lese, desto mehr finde ich mich da wieder. Ich bin quasi eins zu eins die Beschreibung der weiblichen Asperger Autistin. Wie im Lehrbuch.

Für mich war Sportunterricht der Horror. Wirklich der Horror. Das ging schon beim Warten in der Masse vor der Sporthalle los, ging in der lauten, engen wuseligen Umkleide weiter, dann der Unterricht selbst, ich werde es wohl niemals schaffen, zeitgleich einen Ball zu halten UND auch noch Blickkontakt zu halten. Laut, wuselig. Dann bekommt man "Hilfestellung", wird überall berührt (ja, für mich ist auch am Fuß angefasst werden eine absolute Zumutung!). Man wird nieder gemacht, angeschrien, alle anderen schreien sowieso durcheinander. Stell dich nicht so an, tu nicht so dumm. Man wird für dumm erklärt, ununterbrochen. Bewegungen sehen bei mir eben auch niemals in irgendeiner Form ästhetisch aus, aber weil ich weiblich bin, wird das von mir erwartet. Sportarten in Ruhe und Natur werden sowieso von vornherein gar nicht erst in Betracht gezogen. Generell ist Rückzug komplett verboten im Sportunterricht.

Kurzum: es gibt nichts, wirklich nichts, was schlimmer im Schulalltag sein könnte, als Sportunterricht!

Daher meine Frage. Mal angenommen ich wäre nicht für "normal" erklärt worden. Müsste ich unter heutigem Erkenntnisstand noch immer sowas über mich ergehen lassen?

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da optimalerweise ein Asperger-Autist in therapeutischer Begleitung ist, ist das Ziel, auch manche Dingen einfach zu üben, zu trainieren, -aushalten zu lernen. -- In Grenzen und Stück für STück.
Aber sich "dauernd rauszuziehen" sollte nur in den Dingen geschehen, die man nicht bearbeiten oder üben kann (weil da Trigger dabei sind z.B:).

Mein Sohn hat leicht Autismus. - So leicht, dass er zwar immer "besonders war", wir aber erst mit 15 die Diagnose bekamen, als sich viele Probleme aufhäuften. Bei ihm geht es schon in Überempfindlichkeit, aber das meiste ist Sozial-Emotional. -- in seiner Therapie gehört schon auch dazu, in angemessenem Rahmen "an sich zu arbeiten" und manche Dinge bewusst zu üben. Der Therapeut ist mit ihm ins EInkaufszentrum gegangen, hat ihn was bestellen lassen, hat Kommunkationstraining gemacht. - GEnauso könnte man auch irgendwann mal andere DInge angehen.

Die Turniere auswärts, Leistungssport, - Menschenmassen in Stadien kann man vermeiden. (er hat das früher gemacht, jetzt wo er älter ist, geht er in Blockadehaltung) Aber in der gewohnten Klassengruppe und einem halbwegs sicheren Raum und bekannten Umfeld wäre der Sportunterricht für unseren THerapeuten im Fall meines Sohnes (!) ein "geeignetes Übungsfeld". --

Da jeder Autist anders drauf ist, gibt es keine pauschale Antwort, - aber gerade bei Kindern geht es schon ein wenig darum, sie fürs Leben fit zu machen und überall zu trainieren, wo es nur geht. Das macht ja auch ein Unterschied, ob man von einem leichten Asperger spricht oder von einem Autisten, der eigentlich eine Förderschule geht und vielleicht später auch eher in Alternatv-Stellen oder einer Sozialwerkstatt landet --- deswegen finde ich jetzt Sportbefreiung auch nicht immer das richtige. Einzelfallentscheidung.

Wenn es aber wie bei dir so arg ist (berühren usw...), wäre der Nachteilsausgleich an unserer Schule eher so: kleide dich später um, - komme 5 Minuten später, - mach mit, was Du kannst. Du darfst Dich raus nehmen, wenn du was nicht kannst. - NOtengebung angepasst". Leichtathletik und Turnen machst DU mit, - Ballspiele bist Du Schiedsrichter. o.ä. ---- ein "komplett raus" sehe ich schwierig.
Mein Sohn hat gerade so einen Nachteilsausgleich. Nicht wegen seinem Autismus, sondern wegen einem Schmerz-Syndrom, dass leider inzwischen "Schmerz-Gedächtnis" ist. -- da MUSS er das wegdenken, ignorieren, - aber manchmal gehts im Sport halt nicht. Dann zieht er sich raus. Der Lehrer benotet nur angepasst.

Die einstellung "über sich ergehen lassen" ist etwas, an das man therapeutisch arbeiten kann. -- Die Einstellung sollte irgendwann zu bewusstem Umgang mit sich selbst und positiver Lebenseinstellung und "ich zieh durch was ich kann in meinen Grenzen" gehen, weg vom passiv leidenden. --- Das das in der Praxis leichter gesagt als getan ist, ist mir durchaus bewusst.
Oft ist sich "zum AUssenseiter machen" durch so Befreiiungen gar nicht gut, weil das dann psychisch wieder andere Folgen in der Klasse haben kann.

Bearbeitet von tr357
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Hallo,

mein Sohn ist 12 und hat eine ASS (Asperger).

Er hätte tatsächlich eine Sportbefreiung auf Anraten seiner Psychotherapeutin bekommen können, er hat dies aber abgelehnt. Ihm ist es total unangenehm eine Sonderstellung in der Klasse einzunehmen und hat jetzt „nur“ einen Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz für Boden- und Geräteturnen.

LG

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Theoretisch soll es einen Nachteilsausgleich geben. Aber das ist gar nicht so leicht scheinbar.

Der Sohn meiner Freundin hat frühkindlichen Autismus und hasst Teamsportarten. Er kann das einfach nicht.

Aussage Lehrkraft: "Gibt keinen Ausgleich, auch Autisten müssen das lernen".

Ihre Hilfestelle hat ihr da bisher auch keine sinnvolle Unterstützung gegeben.

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Normalerweise verfolgt man heute den Gedanken der Inklusion und dem würde eine komplette Sportbefreiung entgegenstehen.
Nachteilsausgleich oder Notenaussetzung sind gut möglich: Anderer Ort / Zeit zum Umziehen, Teilbefreiung von Teamsport, Hilfestellung durch Vertrauensperson oder aber Aussetzen bei dieser Sportart. Ich habe vom Herzschrittmacher, Fehlstellung der Füße und Autismus schon einige Schüler gehabt, die Teil-Sportbefreiungen hatten - keiner wurde komplett ausgeschlossen.
Ich weiß allerdings nicht, wie es aus ärztlicher Sicht aussieht, also ob es theoretisch möglich wäre.

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Ich denke, dass ist wieder komplett Bundeslandabhängig....

So wie bei Dyskalkulie -- manche BL erlauben einen Nachteilsausgleich und andere erlauben es nicht.

Von daher kann man es sicher mit entsprechenden Arztberichten/ Attesten usw. versuchen - ob man Erfolg hat ist dann Ländersache.

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Gymnasium Baden Württemberg, frühkindliche Autistin und Transgender: Keine Chance auf Befreiung vom Sportunterricht, Theoretisch hätte sie Anrecht gehabt auf Nutzung der Lehrergarderobe, theoretisch hat das selten geklappt, immerhin haben ihr die anderen Mädchen der Klasse immer "Asyl" geboten in der Mädchenumkleide (was soweit ich weiss nicht erlaubt ist). Sportunterricht selbst mochte sie nicht/hasste sie, aber "sie konnte es aushalten", da wir die Diagnose früh kannten, hatten wir Zeit mit ihr zu trainieren auszuhalten was nicht zu ändern ist/was nun mal sein muss.

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Hi,

wir wohnen in NDS und mein Sohn ist Asperger Autist. Er mag Sport und Bewegung sehr gerne und ist sogar in 2 Vereinen. Aber Schulssport ist nochmal eine andere Hausnummer. Er hatte eine zeitlang eine Befreiung, bevor wir unsere Schulassistenz hatten. Jetzt mit ihr macht er wieder mit. Es ist aber auch sein Wunsch.

LG

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Prinzipiell wäre ich dafür, aber wo willst du die Grenze ziehen?

Ich zb bin keine Autistin, trug aber auch im Hochsommer die Sportleggings unter der Hose, da ich mich wegen meiner Unterwäsche schämte (ein anderes Mädchen, das vom Amt lebte und ebenfalls Wäsche tragen musste, die möglichst bis zum Sarg hält und auch genauso aussah, wurde schon in der Umkleide übel gehänselt).

Als wir noch mit den Jungs zusammen Sport hatten, wurde ich auch wegen meiner Unsportlichkeit vera...und weil meine Brüste beim Laufen hüpften, was übrigens auch weh tat. Aber hätte ich mir einen vernünftigen BH oder das Geld dafür klauen sollen?

Zudem wurde immer eine Klassenkameradin oder ich selbst als letzte gewählt, die jeweils andere war dann vorletzte.

Hätte man das Mädchen aus der Umkleide befreien müssen, damit sie sich nicht ausziehen muss oder mich, damit ich nicht im Sommer zwei Hosen übereinander tragen musste? Die zuletzt gewählten Unsportlichen, damit sie nicht traumatisiert werden? Oder eben das Mädchen, das mit 12 schon mehr Busen hat als andere je erreichen, deren Eltern man nicht zwingen kann, einen ordentlichen BH zu bezahlen und das Schmerzen hat, weil dir "Dinger" beim Auf- und Abhüpfen fast abreissen? Oder vielleicht die Dicke, die genauso gut turnen kann wie die Dünnen, die aber die schlechtere Note bekommt, weil es halt nicht so elegant aussieht?

In der Klasse meiner Schwester war ein Mädchen mit einem verkürzten Bein, die konnte auch nicht mitmachen, musste aber anwesend sein und zu Hause dann ein Protokoll anfertigen, das benotet wurde. Sie war also praktisch bestraft, weil sie daheim dann mehr zu tun hatte als die anderen, die "nur" Hausaufgaben machen uns lernen mussten. Ich glaube, sie hätte es ungerecht gefunden, wenn die autistische Kameradin nicht nur kein Protokoll schreiben müsste, sondern sogar früher heimgehen darf oder in der Freistunde schon mal die Hausaufgaben machen kann...

Wobei ich rückblickend sagen muss, natürlich hasste ich den Schulsport, aber es wäre übertrieben zu sagen, dass mich die Teilnahme lebenslang traumatisiert hätte.

Bearbeitet von Isabelle1976